Für Pädagogen und Trainer:Innen
Wie schaffst du es in der Haltung der Wertschätzung eine ganze Kindergruppe, Jugendliche, Jugendmannschaft oder eine Klasse zu führen? Das ist eine herausfordernde Frage. Sie sprengt meine und wahrscheinlich auch deine Vorstellungskraft. Deshalb hier meine Praxiserfahrung und bewährte Methode.
Jeden Tag gibt es Machtkämpfe – dieser hier ist anders
„Aber ich sage nichts Schönes zu dir.“ Nissan klettert vom Tisch. Ich habe sie daran erinnert, dass wir Ehrenclubmitglieder sind. Ehrenfrauen stehen nicht mit Schuhen auf dem Tisch. Es ist die sechste Stunde im SBBZ mit dem Förderschwerpunkt Lernen. Die Konzentration ist raus. Die originellen Verhaltensweisen nehmen zu.
Nochmal wiederholt Nissan „Ich sage nichts Schönes“. Das ist für mich in Ordnung, da zwei weitere Zeichen zur Auswahl stehen, um zu zeigen, dass sie die Regel kennt und jetzt wieder einhalten will. „Klar. Und was suchst du stattdessen aus?“ Unter dem Stöhnen einer sportlichen 9-Jährigen lässt sie sich zu Boden gleiten und simuliert einen Liegestütz. Wir setzen uns. Maja liest den nächsten Satz.
Was ist passiert? Mein System der wertschätzenden Führung in Gruppen mit Kindern hat gewirkt. Doch wie bin ich da hingekommen und was ist dabei zu bedenken?
Als Grundvoraussetzung brauchte es von mir die ganz klare Entscheidung: Ich möchte wertschätzend führen.
Die Haltung von Wertschätzung bedeutet für mich, dass ich jede Person mit seinen Gefühlen und Bedürfnissen wahrnehme. Das bedeutet, dass ich auf jede Person individuell eingehe und diese in ihren Bedürfnissen abhole.
Ich bin Jutta Büttner.
Wertschätzung ist meine Leidenschaft. Es ist das einfachste Mittel, dein Leben entspannt und freundlich zu gestalten. Du wirst zur angenehmen Zeitgenossin, der die Herzen zufliegen.
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Es ist immer genug Zeit da für Wertschätzung
Häufig entsteht dabei der Eindruck, dass dafür keine Zeit ist. Vor allem dann, wenn man eine größere Gruppe zu führen hat, die ein bestimmtes Ergebnis in einer festgelegten Zeit erreichen soll. In solchen Situationen braucht es insbesondere von den Gruppenmitgliedern die Bereitschaft und auch die Fähigkeit, die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen und das eigene Verhalten zugunsten des Gruppenziels anzupassen.
Bei meinen anfänglichen Überlegungen war mir noch nicht klar: Wie kann ich nun wertschätzende führen? Das Führen über strafende Konsequenzen wollte ich nicht mehr nutzen. Für Pädagogen und auch Eltern ist es eine bekannte und vertraute Methode. Eine Regelverletzung führt zu einer Konsequenz. Bricht das Gegenüber erneut die Regel, bekommt es eine stärkere Konsequenz. Dahinter steht die Idee, dass Menschen über Schmerz lernen. Wir legen die Hand auf die Herdplatte. Heiß? Schwupp, die Hand wird zurückgezogen. Der Schmerz führt dazu, dass wir keine Hand mehr auf heiße Herdplatten legen. Ja, das stimmt soweit auch. Wir lernen durch Erfahrungen. Und gleichzeitig kann ich berichten, dass ich mich sehr wohl noch an heißen Töpfen verbrenne, Backblech ungünstig eingeschätzt habe. Vom Grill will ich gar nicht sprechen.
Was bei logischen aufeinanderfolgenden Ereignissen geschieht, lässt sich jedoch nicht ohne Weiteres auf die Führung von Menschen übertragen. Denn das Aussprechen von unangenehmen Konsequenzen und/oder die Steigerung von Konsequenzen – so nennen wir ja mittlerweile in der Pädagogik Strafmaßnahmen – führen in vielen Fällen zu keiner gewünschten Veränderung von Verhaltensweisen. Wahrscheinlich ist eine Verweigerungshaltung. Die Kooperationsbereitschaft sinkt deutlich. Die Beziehungsqualität sowie das Vertrauen nehmen ab.
Verändere deine Sichtweise: von Provokation zu noch ungeübt (mangelnde Gewohnheit)
Ich liebe meine Alternative. Einfach ein Perspektivenwechsel. Sie hat mir das Arbeiten mit verschiedensten Kindergruppen deutlich vereinfacht. Aus meiner Sicht ist es ein wertschätzendes Führen von Kindern und Jugendlichen, wenn ich Provokation durch die Idee ersetze, sie sind es noch nicht gewohnt.
Ich habe im ersten Schritt meine eigene Sichtweise verändert. Statt ein Verhalten verändern zu wollen, helfe ich nun neue Gewohnheiten aufzubauen.
Im nächsten Schritt braucht es das Zusammenfinden der Gruppe und das Commitment der Gruppe für zwei bis drei wichtige Gruppenregeln. Ich hole die Gruppe zusammen und verkünde, dass ich den Club der Ehrenmänner und Ehrenfrauen gründe. Jeder kann mitmachen. Ich erkläre den Sinn von Gruppenregeln und frage nach Nutzen von Regeln. Gemeinsam legen wir eine oder zwei prosoziale Regeln als Leitlinien fest, z.B.: „Wir sind friedlich und fair. Wir sprechen schön. Wir gehen respektvoll miteinander um.“
Danach erkläre ich, dass es darum geht, diese Leitlinien einzuhalten. Das kann überhaupt nicht sofort und immer klappen. Das ist ein Prozess. Manchmal vergisst ein Mensch die vereinbarte Leitlinie. Das kann vorkommen. Wenn das so sein sollte, hilft ein Zeichen, dass mir und der Gruppe signalisiert, dass diese Person wieder mitmachen will. Das sind ganz kleine Zeichen, die keinen Aufwand machen, nicht weh tun.
Die Leitlinie hält uns alle auf Kurs
Hilfreich ist, dass ich Übertretungen der Leitlinien nicht persönlich nehme oder eine bösartige Absicht unterstelle. Meine von mir angenommenen Begründungen für eine Überschreitung sind: Die Leitlinie ist noch ungewohnt oder noch nicht genug geübt. Über weitere Gründe denke ich nicht nach. Wird eine Leitlinie missachtet, dann geht es darum uns gegenseitig an diese zu erinnern und die persönlich zu Beginn gegebene Zustimmung zu den Leitlinien zu erneuern.
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Um sichtbar zu machen, dass man wieder mitmacht, die Leitlinie an sich akzeptiert, erledigt man eine kleine symbolische Handlung. Diese kleinen Zeichen werden gleichfalls zusammen in der Gruppe entwickelt.
Die in meinen Gruppen entwickelten Zeichen waren z.B.:
- Zieh leicht an deinem Ohrläppchen
- Schiebe den Stuhl kurz vom Tisch zurück
- Gib jemanden ein Kompliment (schöne Worte)
- Mache einen Liegestütz
Die kleinen Zeichen dürfen gerne lustig sein. Lachen entspannt die Situation. Etwas mit Bewegung ist auch gut geeignet. Das bringt dem Gehirn einen anderen Reiz.
Meine Kinder lieben Liegestütz. Wichtig ist, dass jede Person den kleinen Zeichen grundsätzlich zustimmt. Ich bin Teil der Gruppe. Daher gibt es mit mir keinen einarmigen Liegestütz und auch das Vorsingen eines Liedes ist gestrichen. Das mache ich nämlich auf keinen Fall. Und es wäre nicht „klein“ genug. Es ist wichtig, dass es danach sofort weitergehen kann.
Da es mindestens drei kleine Zeichen gibt, besteht immer eine Auswahl. Selbstbestimmung ist hilfreich. Jede Person kann aus den gesammelten Zeichen selbst aussuchen.
Eine Auswahl von Zeichen gibt Selbstbestimmung zurück
Manchmal wird das Zeichen von den Kindern/Jugendlichen schnell gegeben. Selten gibt es den Versuch einer Diskussion. Dann heißt es klar bleiben. Ich zeige mit meiner Hand drei Finger und wiederhole nur den Satz: „Was suchst du aus?“, oder „Komm schon, such aus, dann können wir weiter machen.“ Es gibt keine grundsätzlichen Diskussionen. Keine Frage nach der Schwere der Schuld. Und keine Entschuldigungen.
Ich bin immer wieder begeistert, denn dieser Ablauf erzeugt Vertrauen. Es ist gleichgültig, was genau der Regelverstoß ist. Ob Füße auf den Tisch oder anspucken. Mit der Frage: „Was suchst du aus?“, ist in den meisten Fällen auch das Bedürfnis des beteiligten Kindes nach Gerechtigkeit erledigt.
Ja, es braucht am Anfang Energie und Zeit für die Einführung, danach erleichtert es den Alltag ungemein. Nach einer Testphase, ob ich wirklich nach einem Regelverstoß einfach weiter mache, auf ein Moralisieren verzichte und neutral bleibe, möchte jeder Teil des Ehrenclubs sein.
Hier in aller Kürze nochmal mein Vorgehen:
- • Erklärt, dass ihr Regeln braucht.
- • Nennt es den Ehrenclub.
- • Notiert möglichst allgemeine prosoziale Regeln
- • Entwickelt mindestens drei kleine Zeichen
- • Lasst alle unterschreiben
- • Bei einer Übertretung der Leitlinien: Erinnert an die Regeln. Fordert ein Zeichen ein.
- • Überprüft nach 8 Wochen oder wenn neue Personen in die Gruppe kommen, ob die Leitlinien und Zeichen für alle passen.
Antworten auf die am häufigsten gestellten Fragen:
„Hast du es in der Praxis umgesetzt?“ Ja. In einer Schule mit dem Förderschwerpunkt Lernen. Und in einer Einrichtung für Menschen mit geistiger Behinderung.
„Haben immer alle mitgemacht in der Schule?“ Nein. Das ist auch nicht zwangsläufig notwendig. Die Schülerinnen und Schüler können umschalten. Sie schätzen die Klarheit.
„Gelten die Regel auch für dich?“ Ja, klar. Besonders am Anfang ist es wichtig, auch Fehler zu machen und dann unter lautem Lachen einen Liegestütz versuchen.
„Was mache ich, wenn ein Schüler oder eine Schülerin absolut keines der kleinen Zeichen geben möchte?“ Führen besteht aus Kontakt, Timing und Position. Ich probiere dann folgende Möglichkeiten: Ich verringere den Abstand zwischen mir und der Person, ohne dieser direkt und zu nah gegenüberzustehen. Ich versuche einen zweiten Sinneskanal dazuzunehmen, indem ich 3 Finger zeige. Dann wiederhole ich nur den einen Satz „Was suchst du aus?“. Ich erlaube Mitbestimmung. „Ich mache es nach der Pause in der Klasse, wenn alle schauen.“ Es ist kein Machtkampf. Wenn der andere einräumt, dass es die ausgemachten Leitlinien gibt und diese anerkennt, braucht es kein Zeichen manchmal darüber hinaus. Diese scheinbare Inkonsequenz hat keinen Nachteil für die Gruppe – fördert jedoch die Beziehung.
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