Praxisworkshop am Deutschen Schulleiterkongress 2022
Du möchtest Gewalt keine Chance geben. Du bist dir sicher, Gewalt gehört nicht zum System Schule. Das System Schule ist friedlich und wertschätzend. Hier öffne ich meine Schatztruhe. Das Besondere daran ist, dass du dich entscheiden kannst, zu starten. Es ist nicht notwendig, langwierige Abstimmungsprozesse mit KollegInnen zu führen. Du kannst sofort loslegen, wenn du dich dafür entscheidest. Du brauchst lediglich dich selbst und deine Entschlossenheit.
Meine Story, wie ich zu dem Thema kam
„Du bekommst heute keinen Stern für die Pause.“
Ian weint bitterlich. Auch nach 45 Minuten sind die Tränen noch nicht versiegt. Ian ist in der 3. Klasse des SBBZ. Seine Diagnose lautet Autismusspektrumstörung. Er versteht die Entscheidung nicht. Ich kann nicht beschreiben, was er denkt. Seine unendliche Traurigkeit bewegt mich. Er wird aus dieser Konsequenz auf keinen Fall lernen, wie er sich in der Pause benehmen soll. Dafür ist der Hinweis, „Du bekommst keinen Stern.“, viel zu allgemein. Obwohl es bekannt ist, dass Menschen aus Strafe eher weniger – nach meiner Überzeugung – überhaupt nicht lernen, ist dieses Belohnungssystem entwickelt worden. Für mich ist es klar, dass hier etwas passiert zwischen LeherIn und SchülerIn. Es sind die ersten kleinen Nadelstiche, die die Atmosphäre verändern. Die ganze Klasse nimmt wahr und ist beeindruckt. Mir war es so unangenehm, einfach im Unterricht weiterzumachen. Damit war klar, so möchte ich nicht arbeiten.
Ich habe mich auf die Suche gemacht, wie es anders gehen kann. Es ist mir ein tiefes Bedürfnis, dass Schule genau der friedliche Ort wird, der er sein kann. Und ich bin fündig geworden. Mein Ziel ist es, eine Gewohnheit zu etablieren. Und Gewohnheitstraining funktioniert ohne Strafe. Das habe ich ausprobiert und bin restlos begeistert.
Eine kleine Selbstvorstellung
Es ist 7.45 Uhr. Das Telefon klingelt. „Kommt ihr Sohn heute nicht zur mündlichen Abiprüfung?“ Ich bin perplex. Am Abend vorher habe ich noch mit ihm gesprochen. Er hat erzählt, wie er sich vorbereitet. Was ist passiert? Er hat übersehen, dass er 7.30 Uhr da sein muss, damit er dann um 8 Uhr die Prüfung hat. Es wäre möglich gewesen, die Prüfung mit 0 Punkten abzuhaken oder einfach ohne Vorbereitung durchzuziehen. Die Entscheidung ist, dass die Prüfung hinten angehängt wird. Er erhält Wertschätzung für seine bisherige Leistung. Das ist berührend. Gleichzeitig kenne ich auch die andere Seite von Schule. Abschreiben der Hausordnung, Elterngespräche, Ausschluss aus der Schule. Nicht alle meine Kinder sind angenehme SchülerInnen.
Ich selbst bin in einer Werkstatt für Menschen mit geistiger Behinderung beschäftigt. Als Psychologin und Trainerin für wertschätzende Kommunikation habe ich jeden Tag mit herausforderndem Verhalten zu tun und damit, wie ein gutes Miteinander gelingen kann. Effektive Methoden der Gruppenführung sind für uns wichtig. Mehr zu meiner Person gibt es hier.
Gewalt gehört nicht zum System
Ist Schule ohne Gewalt denkbar? Ist es möglich, dass Lehrer:Innen und Schüler:Innen ohne Gewalt gemeinsam in der Schule lernen und arbeiten. Die Antwort ist ganz klar: Ja. Gewalt gehört nicht zu Schule. Grundsätzlich ist sie kein Teil des Systems.
Das widerspricht deinen Erfahrungen im Alltag? Derzeit ist es so, dass in Schulen Gewalt stattfindet. Aggressive Schüler:Innen überschreiten Grenzen, üben körperliche Gewalt aus, teilen unangemessene Bilder von Mitschüler:Innen oder bedrohen Lehrer:Innen. Es wird getreten, gespuckt und geschubst. Waffen werden mit in die Schule genommen.
Gehört Gewalt doch dazu? Aus meiner Sicht verwechseln wir die Eigenschaften der Spielregeln und der Spieler:Innen. In einem Spiel geben die Spielregeln vor, wie ich mich in dem Spiel verhalte. Wenn ich also Fußball spiele, dann werde ich den Ball mit dem Fuß in das Tor befördern und die Hand nicht benutzen, auch wenn das in der Situation viel leichter wäre.
Entscheide ich mich Monopoly zu spielen, dann ist das Ziel des Spiels, dass ich meinen Besitz vermehre und die anderen Spieler kein Geld mehr haben. Dazu kaufe ich Straßen und verlange Miete. Selbst wenn ich nicht aggressiv sein möchte, muss ich mich nach den Spielregeln aggressiv verhalten. Wenn ich eine Straße kaufe, kann kein anderer sie kaufen. Eine außenstehende Person könnte auf die Idee kommen, dass ich aggressiv bin. Wechsel ich das Spiel und spiele „Wer war`s?“ oder „Obstgarten“ oder „Die Legende von Andor“ dann werde ich mich kooperativ verhalten. Denn das Ziel dieser Spiele ist es, dass wir gemeinsam gegen den Raben, Zauberer oder Orks gewinnen. Das ist dann möglich, wenn wir uns absprechen. Ich verhalte mich kooperativ.
Die Spielregeln entscheiden also, wie aggressiv oder kooperativ ich mich verhalte.
Ändere die Spielregeln
Untersuche also die Regeln, nach denen das Spiel Schule in deinem konkreten Fall gespielt wird. Ein Teil der Regeln ist festgelegt. Das sind Gesetze und Vorgaben. Alle weiteren Regeln gibt sich die Schule und gibst du deinem Unterricht. Ein Teil dieser Regeln ist transparent, ein anderer Teil ist unklar, so etwas wie Hinterhof.
Und hier meine ich wirklich die Regeln, die du deinem Unterricht und sich eine Schule selbst geben kann. Diese ergeben sich aus den Werten. Ich habe eine Schule in Heilbronn erlebt, in der das Ideal wichtig war, dass nur die Schüler:Innen an der Schule sind, die erfolgreich diese Schulart abschließen können. Schnellstmöglich sollten die unpassenden Schüler:Innen die Schule verlassen. Auf Elternabenden sind Sätze gefallen wie „es sind noch Schüler:Innen in der Klasse, die nicht hier auf die Schule gehören“. Das verändert die Atmosphäre. Es macht Druck. Auf der anderen Seite hat eines meiner Kinder Gymnasium besucht, das mehr Wert auf Gemeinschaft gelegt hat. Ein Teil des Gemeinschaftslebens war Musik. Wenn ein Kind sein Instrument noch nicht ausreichend beherrscht, dann werden die Noten vereinfacht. Was noch nicht geht, wird passend gemacht. Und wenn es gar nicht passt, dann finden die Lehrer:Innen eine passende alternative. Schaue ich mir die Quote an, wie viele Kinder den Schulabschluss in diesen Schulen erreichen, dann ist diese auf beiden Schulen gleich. Es schaffen nicht alle Kinder den Abschluss. Ich habe erlebt, dass das Schulklima während sie auf der Schule sind, ganz anders ist. Es hat einen Auswirkung auf das Klima, die Zusammenarbeit und die Gemeinschaft.
Was tun? Da müsste ja die gesamte Lehrerschaft mitmachen. Ein Antrag beim Ministerium gestellt werden. Jetzt kann ich schon fast körperlich spüren, wie es in Gedanken so groß wird. Man müsste eine Projektgruppe bilden, die die Werte der Schule definiert. Das machst du gemeinsam mit Lehrer:Innen deiner Schule und das ist die Basis für ein einheitliches pädagogisches System. Das hätte große Vorteile. Eine einheitliche pädagogische Haltung bringt Ruhe ins System. Daraus leitet ihr wenige Regeln ab. Für diese wenigen Regeln gibt es Konsequenzen. Wenige Regeln und wenige Konsequenzen. Und die Konsequenzen sind vorformuliert. Das bringt Klarheit, Überschaubarkeit und Einfachheit. Mitbestimmung ist sehr wichtig. Eltern und Schüler:Innen sollten befragt werden und mit ins Boot steigen. Dann wird es so groß, dass keiner mehr starten möchte.
Es ist gut, es unperfekt zu tun, statt es überhaupt nicht anzugehen.
Praxis-Tipp Nummer 1: Deine Werte
Starte mit deinen persönlichen Werten. Welche Werte sind dir in der Schule wichtig. Versuche dann die wichtigsten drei herauszusuchen. Das hört sich easy an, ist es dann in der Praxis nicht. Diese drei Werte sollten sichtbar werden. Vielleicht ergibt sich schon aus diesen Werten, dass die ein oder andere Regel dir nicht mehr wichtig ist. Wenn es um Weiterwachsen und Entwicklung geht, dann könnte Harmonie hinten anstehen. Du freust dich über Diskussionen und kannst gut aushalten, dass nicht alle die gleiche Meinung haben.
Das Spiel und seine Regeln sind jetzt definiert. Wie bekomme ich die Spieler dazu, die Regeln einzuhalten? Dafür brauche ich einen Plan. Dann habe ich Transparenz und Klarheit.
Praxis-Tipp Nummer 2: Deine Liste Regelverstoß – Konsequenz
Erstelle doch mal eine persönliche Liste, welche Sanktionen wie Schulausschluss, Nachsitzen, Time-Out, Abschreiben eines Zettels, Pausenverbot du welchen herausfordernden Verhaltensweisen zuordnen würdest.
Das wäre der allgemeine Regelrahmen. Und es ist klar, die dort formulierten Konsequenzen sind für grobe Regelverstöße, für eindeutige körperliche Gewalt zum Beispiel. Wenn wir sie schon für Kaugummikauen aufbrauchen, dann fehlen uns klare Eskalationsstufen hinten raus.
Was tun bei „kleinen“ Regelverstößen?
Das bedeutet, es bleiben die vielen „kleinen“ Regelverstöße. Mütze auf dem Kopf, Mäppchen herunter schubsen, im Unterricht herumlaufen, reinquatschen und so weiter. Das, was den Unterricht manchmal so zäh macht. Manchmal reagierst du, manchmal schaust du weg, weil es wirklich nervt.
In der einen Schule meines Sohnes wurde dem Lehrer verboten, weiterhin Zettel abschreiben zu lassen, da er sie dazu auf den Flur geschickt hat. Es war dann so voll und laut auf dem Flur, weil mehr Kinder draußen denn drinnen waren.
Um die „kleinen“ Regelverstöße in den Griff zu bekommen, verändern wir die Denkrichtung. Du verabschiedest dich von einem weit verbreiteten Gedanken: Menschen lernen aus Konsequenzen. Du verabschiedest dich von der Idee, es gibt einen kausalen Zusammenhang zwischen Vorher und Nachher und dazwischen liegt die Konsequenz, die das ganze bewirkt hat.
Es ist ein wirklich tief verwurzelter Irrglaube. Wir haben ihn noch weiter gesponnen: Noch mehr lernen Menschen, wenn die Konsequenzen unangenehm sind, weh tun. Wenn Kinder nichts gelernt haben, die Regel nochmal übertreten, dann bedeutet das, dass die Konsequenzen nicht beeindruckend genug waren. Stärkere Konsequenzen würden besser wirken. Daher sollte ich noch strenger sein. Herausforderndes Verhalten verschwindet, wenn die Konsequenz wirkungsvoll ist. Das ist der Irrglaube, der Pädagogen handlungsunfähig macht.
Obwohl wir in der Realität erleben, dass das Verhalten des Kindes sich nicht verändert, bleiben wir damit beschäftigt, die passende wirkungsvolle Konsequenz zu finden. Denn dann würde das Verhalten des Kindes sich verändern.
Natürlich gibt es auch nette Lehrer:Innen, die nicht mit dieser Art von Konsequenzen arbeiten. Es ist ja leicht zu durchschauen, dass in anderen Zusammenhängen diese Konsequenzen Strafe heißen. Diese Lehrer:Innen arbeiten mit Ermahnungen und Belohnungen. Sie versuchen, die richtige Belohnung zu finden oder die richtigen Worte für die Ermahnung. Denn mit der richtigen Belohnung verschwindet das Verhalten.
Dann befinden wir uns noch immer im Denksystem: Menschen lernen aus Konsequenzen. Es ist lediglich die andere Seite der Medaille. Dadurch wird es nicht wahrer. Das wirklich furchtbare daran ist, dass es nicht funktioniert und dann die Lehrkraft frustriert ist. Das führt zu Resignation. „Ich habe mich so bemüht, und nichts hat gefruchtet.“
Dann denke ich so etwas wie „der soll was lernen?“ Denn wenn unsere Bemühungen nicht erfolgreich sind, dann ist das ein Schmerz. „Dafür bist du als Lehrer:In nicht angetreten.“ Dann steigen wir aus. Henry Ford hat einmal gesagt, Menschen scheitern nicht, sie resignieren. „Ich habe mir soviel Mühe gegeben, das bringt nichts. Da ist Hopfen und Malz verloren. Das kann bei den Eltern nichts werden.“
Und wenn du jetzt denkst, aber manchmal gelingt es, dann liegt es nicht daran, dass wir gerne Zusammenhänge sehen, die nicht da sind. Lernen ist komplex. Und es gibt Lehrer:Innen, die über die Beziehung in Kontakt mit der Schüler:In sind und führen. Das ist mein Vortrag über Führung und Beziehung. Ich lade dich herzlich ein, dich dazu anzumelden.
Reframing: Regeln einhalten ist einfach nur noch keine Gewohnheit
Wie verändert sich nun Verhalten? Wie funktioniert den Lernen? Lernen beruht darauf, dass ich das können will. Ich entscheide mich, dass ich das Lernen will. Dann brauche ich Wiederholungen und dann klappt es. Verhaltensänderung lernen ist ein zirkulierender Prozess. Mal zeigt man schon das neue gelernte Verhalten und zwischendurch fällt man wieder in das alte Muster zurück. Dies passiert, weil das neue Verhalten noch keine Gewohnheit ist. Wir haben es noch nicht oft genug wiederholt.
Für mich ist das entscheidende Zauberwort: Gewohnheit. Ich möchte Menschen ermöglichen, dass sie eine hilfreiche Gewohnheit bilden können, in dem ich ihnen die Möglichkeit gebe, das neue Verhalten einzuüben.
Körperübung: Falte deine Hände. Du hast entweder den rechten oder den linken Daumen oben. Das bedeutet nichts. Es ist eine Gewohnheit. Verändere jetzt die Lage deiner Finger in dem du die Hände auseinander nimmst und einen Finger weiter wieder faltetest. Es fühlt sich komisch an. Ungewohnt. Falte deine Finger hin und her. Es wird schon gewohnter.
Gewohnheiten kennst du: Das Radio vor dem Schlafen gehen ausschalten. Bevor du aus dem Haus gehst, nochmal auf die Toilette gehen oder Zähneputzen. Du denkst nicht darüber nach, du tust es einfach.
Wenn ich den Gedanken weiter spiele, dann bedeutet das folgendes: Das Verhalten „auf dem Stuhl sitzen bleiben“, „in der Pause die Blase checken und auf Toilette gehen“ „Arbeitsblätter abheften“ „in Wut die Hände in die Hosentasche stecken“ ist noch keine Gewohnheit.
Es ist meine Entscheidung, so zu denken. Ich entscheide mich, dass eine Regelübertretung daher kommt, dass die Regel noch ungewohnt ist. Sie ist noch nicht genug geübt. Über weitere Gründe denke ich nicht nach. Wird eine Regel missachtet oder ein Schimpfwort gesagt, dann geht es darum an die Regel zu erinnern und das persönliche Versprechen zu erneuern.
Kannst du an dieser Stelle noch mitgehen? Wenn du merkst, da sperrt sich was, dann stell dir vor, es ist nur ein Gedankenexperiment. Und schau mit mir, wohin es dich führt. Vielleicht kannst du meiner Idee zu 60 % zustimmen. Es ist okay, wenn es noch ein bisschen Unbehagen gibt.
Kleine Selbsterfahrung zum Thema Gewohnheiten.
Stell 5 Minuten deine Füße mit der Fußsohle auf den Boden und setz dich gerade hin. Es ist freiwillig, du entscheidest, ob du das ausprobieren möchtest. Wenn Gedanken kommen, wie „das mag ich nicht“ – Herzlichen Glückwunsch. So geht es einem Teil aller Menschen. Zuerst denke ich, das will ich nicht, das mag ich nicht. Und dann erleben ich, dass ich scheitere. Meine Füße sind nicht so steh geblieben. Dann haut das so richtig auf das Selbstbewusstsein, wenn ich nicht vorher sage, dass es eine Gewohnheitssache ist. Also lass uns ausprobieren, ob du schon gewohnt bist, so zu sitzen.
Praxis-Tipp Nummer 3: Von der Regel zur Gewohnheit
Was für Zutaten braucht es, um eine Gewohnheit zu bilden und wie kann ich es auf den Kontext Regeln einhalten anwenden? Es braucht Freiwilligkeit, Lernbereitschaft, Wiederholungen und eine Prise Spielerische Leichtigkeit.
Gründe in deiner Klasse den Club der Ehrenmänner und Ehrenfrauen. Gemeinsam formuliert ihr zwei prosoziale Regeln: Wir sind friedlich und fair. Wir sprechen schön oder wir gehen respektvoll miteinander um. Es ist davon auszugehen, dass jemand die Regeln übertreten wird. Es ist ja teilweise noch ungewohnt. Dann brauchen wir ein äußeres Zeichen, eine Geste, dass ich mich an die Regel erinnere und wieder mitmache. Bereits mit der Gründung des Clubs räumen wir ein, dass es nicht klappen könnte und das das normal ist. Deshalb können wir die kleinen Zeichen gemeinsam in der Gruppe entwickeln.
Zum Beispiel:
- den Stuhl kurz vom Tisch zurückschieben
- jemanden ein Kompliment geben
- am Ohrläppchen zupfen
- ein Liegestütz machen
Die kleinen Zeichen dürfen gerne lustig sein. Lachen entspannt die Situation. Bewegung bringt das Gehirn in eine andere Denkrichtung. Kleine Zeichen sind sofort umsetzbar. Sie machen allen wenig Arbeit und tun niemandem weh. Sie werden wiederholt, ohne Steigerung.
Wichtig ist, dass jedes Gruppenmitglied den kleinen Zeichen grundsätzlich zustimmt. Ein Veto bei der Vereinbarung bedeutet, dass ich ein anderes Zeichen finde. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten. Ich bin Teil der Gruppe. Einarmigen Liegestütz und Vorsingen eines Liedes gibt es daher nicht. Da habe ich Veto eingelegt. Es wäre nicht „klein“ genug. Dass es danach sofort weiter gehen kann, ist wichtig.
Da es mindestens drei kleine Zeichen im Falle einer Regelübertretung gezeigt werden können, besteht immer eine Auswahl. Selbstbestimmung ist hilfreich. Das Kind sucht im Fall der Fälle ein konkretes Zeichen aus. Manchmal wird das Zeichen schnell gegeben. Manchmal gibt es eine kleine Diskussion. Dann heißt es klar bleiben. Ich zeige mit meiner Hand drei Finger und wiederhole nur den Satz „Was suchst du aus?“ Ich führe an dieser Stelle keine grundsätzliche Diskussion. Keine Frage nach der Schwere der Schuld. Und keine Entschuldigung. Das haben wir bei der Clubgründung alles besprochen.
Spürst du meine Begeisterung? Das Vertrauen sprudelt. Es ist gleichgültig, was genau der Regelverstoß war. Ob Füße auf den Tisch oder anspucken: „Was suchst du aus?“. In den meisten Fällen ist auch das Bedürfnis des beteiligten Kindes nach Gerechtigkeit damit erledigt. Das Gegenüber zeigt, dass es verstanden hat, dass das nicht in Ordnung war. Was ist mit der Konsequenz, dass der Verursacher auch wieder für Sauberkeit sorgen muss? Das Verursacherprinzip ist keine Konsequenz, die sich aus der Regelübertretung ergibt, sondern eine verkappte Strafe. Ich gehe komplett aus dem Machtkampf. Der Schmutz muss weg – das ist klar. Entweder jemand hat Lust das zu machen, sonst mache ich es selbst.
Wo sind jetzt deine Füße? So sitzen ist noch nicht geübt. Du stimmst zu und fühlst dich total in Ordnung.
Die Idee, dass es um eine Gewohnheit geht, nimmt viel Druck aus dem System. Es entsteht weniger Gegendruck. Der Respekt steigt. Die Lehrer:In ist auf der gleichen Seite – so etwas wie eine Verbündete.
Du brauchst Energie und Zeit für die Einführung, danach erleichtert es den Alltag unglaublich. Es wird eine Testphase geben. Die Kinder und Jugendlichen prüfen, ob ich mich tatsächlich an den Ehrencodex halte, auf moralisieren verzichte und neutral bleibe. Danach möchte jeder Teil des Ehrenclubs sein.
Das Kollegium
Sofort umsetzbar und lediglich von deiner Entscheidung abhängig – das war mein Versprechen für die bisherigen Tipps.
- Du kannst deine Werte für deine Arbeit definiere.
- Du kannst grobe Regelverstöße Konsequenzen zu ordnen.
- Du kannst dich entscheiden, dass alle kleinen Regelverstöße mangelnde Gewohnheit ist und mit dem Gewohnheitstraining beginnen.
Da fehlt die Kraft der Gemeinschaft. Das ist dein Kollegium. Es gibt eine große Sehnsucht nach Kooperation. Es gibt Herausforderungen, die niemand alleine bewältigen möchte. Da brauchen wir den Rückhalt des Kollegiums. Die Wildgänse fliegen in V-Formation. Und es wird unentwegt geschnattert. Diese Formation erleichtert den langen Flug. Sie schnattern um sich gegenseitig zu unterstützen. Das gibt Kraft.
Um zur Frage zurück zu kehren, was tue ich, wenn ich in eine Situation gerate in der Klasse, zu der ich gerade keine Idee habe. Ich gehe aus dem Machtkampf und hole mir die Kraft der Gruppe. Folgende Situation: Die Jugendliche kann gerade nicht kooperieren. Meine Standardantwort ist: „Das bespreche ich mit meinen Kolleg:Innen. Ich gebe dir dann Bescheid, was wir beschlossen haben. Jetzt mache ich erst mal weiter.“ Es ist wichtig, dass es einen echten Joker gibt. Das ist die Gemeinschaft.
Wie viele von euch hätten sich Unterstützung gewünscht? Wie viele von euch wussten in der Klasse nicht weiter?
- Wäre das nicht fantastisch, wenn das Kollegium hinter dir steht?
- Hast du Stress mit einem von uns, hast du Stress mit uns allen.
- Wenn es gegen einen geht, geht es gegen alle.
Realitätscheck und gute Gründe
Ich persönlich habe Folgendes erlebt: Es wird über einzelne Kolleg:Innen gesprochen, die ihre Aufgabe schlecht machen. Es wurde über mich gesprochen. Wenn es Beschwerden gibt, dann ist die Lehrkraft Schuld. Oder es ist eine schlimme Klasse. Überhaupt wird der oder die Schuldige gesucht. So richtig den Dampf ablassen, das ist angeblich gut für die Psychohygiene. Das muss mal raus. Hilfreich soll das sein. Ich kann dir versichern, auf körperlicher Ebene ist das überhaupt nicht hilfreich. Trotzdem tun wir es. Es muss also einen Vorteil haben.
Ich gehe davon aus, dass wir uns zwei Bedürfnisse damit erfüllen:
Harmonie erleben: Ich gehöre gerne zu einer Gruppe dazu. Mit der Person, mit der ich gerade gemeinsam eine Position einnehme, mit der fühle ich mich verbunden. Ich stelle ein kleines Glück her. Das fühlt sich gut an, nachdem Frau/Mann alleine vor einer Klasse stand. In der Klasse gehören wir nicht dazu. Das ist unsere Rolle. Dafür suchen wir einen Ausgleich.
Vertrauen: Ich würde gerne darin vertrauen, dass ich mit den Kindern und Jugendlichen in einem guten Kontakt bin. Gleichzeitig erlebe ich, dass es nicht so ist. Deshalb versuche ich Kontrolle über die Situation zu bekommen. Ich erzähle mir die Geschichte, dass es an der Person liegt. Und wenn ich es anders mache als meine Kolleg:In, dann passiert mir das nicht. (Wie bereits beschrieben ist meine Position, dass es die Spielregeln sind, die zu diesen Situationen führen).
Diese beiden Strategien, mir das Bedürfnis nach Harmonie, Dazu gehören und Vertrauen zu erfüllen, kosten etwas. Sie haben bestimmte folgen.
Wenn ich in den Fokus gehen, was alles schlimm ist, dann bekommen ich bestimmte Körpergefühle. Muskeln spannen sich an, Hormone und Botenstoffe werden freigesetzt. Die physiologische Reaktion Stress wird ausgelöst. Mein Körper läuft in der Erwartung umher, dass es Stress geben wird. Und diese Erwartung wird erfüllt. Überall sehe ich Probleme und Schwierigkeiten. Ich bestätige meine Erwartung, was dazu führt, dass ich noch gestresster bin. Muskeln spannen sich an. Der Nacken schmerzt. Dann erwarte ich noch übleres. Diese Spirale entsteht, wenn ich selbst das Gespräche anfangen, aber auch wenn ich „nur“ zuhören.
An der Situation in der Klasse, in der Schule und im Kollegium ändert sich so nichts. Es ist also wichtig, wie ich über Schüler:Innen, die Situation an der Schule und über Kolleg:Innen denke und spreche.
Praxis-Tipp Nummer 4: Stärke dein Mindset
Fördere deine Psychohygiene. Der erste Schritt wäre, jegliche Gespräche die über Schüler:Innen und Klassen geführt werden mit dem Fokus auf herausforderndes Verhalten „Findest du auch, die sind so schlimm“ „ich habe jetzt Unterricht in der schlimmsten Klasse“ schnellstmöglich zu stoppen. (Ich liebe die Armbandchallenge von Brown aus dem Buch Einwandfrei.) Im zweiten Schritt könntest du dann sogar deine Gedanken bewußt lenken. Bearbeite herausforderndes Verhalten einzelne Schüler:Innen nach einem bestimmten Schema. Welche Verhaltensweisen gibt es? Beobachtungen zusammentragen. Was läuft gut? Welche guten Gründe könnte es für herausfordernde Verhaltensweisen geben? Gibt es strukturelle Gründe? Und lege dann fest, welches Angebot die Schüler:In erhält. Und ein Angebot ist tatsächlich genau so gemeint. Mein Gegenüber hat die Freiheit, das Angebot anzunehmen. Ich respektiere die Entscheidung und überlege ein neues Angebot. Du planst Unterricht und so vieles anders.
Praxis-Tipp Nummer 5: Lerne dich selbst kennen
Stelle echten Kontakt mit dir selbst her und lass andere daran teilhaben. Niemand kann an deiner Körpersprache ablesen, wie es dir geht. Wahrscheinlich kennst du Laura Ludwig nicht. Sie ist Beachvolleyballerin und sie wollte unbedingt eine Goldmedaille. Es gab ein wichtiges Spiel und obwohl sie gewonnen haben, haben sich die Spielerinnen unter der Dusche angeschrien. Laura dachte, dass die Kollegin aufgegeben habe. Sie hat die Körpersprache so interpretiert. Und Kira dachte, dass Laura sauer sei, weil sie davor einen Ball vergeben hatte. Die Beiden haben sich externe Unterstützung gesucht. Die pschologische Ansage war: Vor jedem Training, vor jedem Spiel beantworten sie sich diese Fragen ehrlich: Wie geht es mir? Wo habe ich Schmerzen? Was kann ich nicht wegschieben und ist noch in meinen Gedanken?
2016 haben die beiden Beachvolleyballerinnen dann Gold geholt.
Lerne dich kennen. Ich habe bald auf meiner Internetseite den Antreibertest. Wenn du Lust hast, komm in meinen Newsletter. Ich informiere, wenn er online ist. Selbsterkenntnis ist der
Gewalt macht sprachlos. Es ist wichtig, über die richtigen Fragen mit uns selbst zu sprechen. Was beschäftigt mich? Wo tut es mir weh? Was kann ich nicht wegschieben?
Wenn du über den Montag hinaus denkst, dann kann es auch möglich sein, Gewalt zu einem regelmäßigen Thema in Besprechungen zu machen. Was habe ich und meine Kolleg:Innen erlebt? Wie ordnen wir das subjektiv ein? In einer offenen Atmosphäre ist es möglich, dass wir über Regeln, Regelübertretungen, Grenzverletzungen und Gewalt sprechen können. Dann wird auch das Thema Macht auftauchen. Sehr spannend.
Du hast die Verantwortung für deinen Garten.
Da ist dein Vorgarten. Wenn du dich nicht um ihn kümmerst, dann kommen die Wildblumen. Zunächst sind es wenige, doch sie werden immer mehr. Dann wird es richtig viel Arbeit, den Vorgarten wieder zu gestalten. Vielleicht braucht es dann einen Bagger, weil die Wurzeln Gehwegplatten angehoben haben. In meinem Vortrag habe ich gezeigt, wie der Umgang mit kleinen Wildkräutern gelingen kann. Wir leugnen nicht mehr Kooperation. Schule ist Kooperation.
Weg von langatmigen Ermahnungen. Weg von dem Gefühl, ich unterrichte „gegen“ die Klasse. Dann überanstrenge ich mich, werde entmutigt und ausgebrannt Mein Verhalten wird aggressiv und ruppig. Vielleicht setze ich sogar Schüler:Innen herab. Es ist vereinfachend, davon auszugehen, dass die Lehrer:In die Schuld trägt. Es ist ein erlernbares Handwerk. Diese Lehrkraft hat das Handwerk noch nicht gelernt.
Fazit
In jeder Schule gibt es Gewalt. Das bedeutet nicht, dass Gewalt zum System gehört. Es sind Menschen, die Macht ausüben. Das hat unterschiedliche Gründe. Und du kannst dich entscheiden, aus dem Machtspiel auszusteigen.
Ich wurde zu einer Beratung angefragt. Es ging darum, dass ein Mensch mit Autismusspektrumsstörung diverse herausfordernde Verhaltensweisen zeigte. Dieser Mensch wurde zu einem Objekt, der das lernen sollte, was wir Pädagogen uns ausgedacht hatten. Alles, was er tat, war nicht recht. Nach der Hospitation folgte eine schlaflose Nacht. Am nächsten Tag war mir klar, dass mache ich nie wieder so. Das ist Gewalt und das schadet allen. Es muss eine andere Lösung geben. Und ich werde diese Lösung finden. Wertschätzende Führung ist diese Lösung. Ich möchte allen Menschen ermöglichen, das System kennenzulernen und dann zu entscheiden, ob sie es nutzen möchten.
Meine Mission ist es Fairness, Wertschätzung und Freude an der Kooperation in Schule, Vereine und Unternehmen zu bringen. Es ist meine tiefste Überzeugung, dass jeder Tag eine neue Chance auf Verbindung gibt. Gegenseitige Wertschätzung ist die beste Prävention gegen Gewalt.
Wirf dein pädagogisches Sicherheitsnetz aus, stärke den Teamgeist, fördere die Motivation durch das Entwickeln eines sicheren Rahmens und Annäherung an eine gemeinsame Haltung. Bleib dran. Aus meiner Erfahrung ist es so, dass wir zu schnell aufgeben, weil die schnellen Ergebnisse ausbleiben. Wenn du dich entschieden hast, eine Veränderung einzuführen, dann bleib dran.
Ich ermutige dich, für eine veränderte Kultur in Schule zu gehen. Und erlaube dir, für jede Etappe Reisebegleiter einzuladen.
If you go fast, go alone.
If you want to go far, go together.
Montag startest du mit einem der Praxistipps und Dienstag suchst du dir Begleiter. Und erlaube dir, auch externe BegleiterInnen anzufragen.
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