AufmerkZeit – Die Geschichte einer geglückten Trennung und was du daraus lernen kannst

Dr. Jasmin Buck und ich auf der Veranstaltung 25 Jahre Software Engineering 2022 der Hochschule Heilbronn.

Die Aula der Hochschule Heilbronn füllt sich. Die Festveranstaltung 25 Jahre Software Engineering startet in wenigen Augenblicken. Die Musiker machen die letzten Handgriffe an ihren Instrumenten, bevor die Big Band feierlich den Abend eröffnen wird. Ich sitze neben Dr. Jasmin Buck. Das ist nicht selbstverständlich. Vor einem Jahr hat unsere Freundschaft eine der größten Belastungsproben bestanden. Ich möchte dich mitnehmen in meine Geschichte. Denn aus Geschichten lernen wir am meisten.

So haben wir uns kennen und schätzen gelernt

Jasmin und ich kennen uns aus unserer gemeinsamen Zeit in der Hochschule Heilbronn. Dort waren wir beide Assistentinnen in der Lehre für den Studiengang Software Engineering. Fünf Jahre habe ich dort gearbeitet. Das schweißt zusammen. Alles was zu einer Freundschaft dazugehört, das tun wir. Besuche, Grillen, Baden in der Jagst (sehr empfehlenswert), Theaterbesuche. Und darüber hinaus unterstützen wir uns empathisch, wenn Herausforderungen auftauchen. Unsere Familien sind durch Patenschaften zu den Kindern verbunden.

Die Verlockung Selbstständigkeit im Team

Anfang 2021 rief mich Jasmin an. Sie hat eine Idee und diese wolle sie mir vorstellen. Gespannt machte ich mich auf den Weg von Heilbronn nach Berlichingen. Nico hatte bereits seine Werkstatt Buck’s Bikes Berlichingen eröffnet. Daran hat Jasmin einen großen Anteil. Sie ist erfahrende Gründerin. Am Esstisch sitzend, stellt sie mir ihre Idee vor: Sie entwickelt alles, was für eine Auszeit notwendig ist, packt es in eine Schachtel. Menschen sollen einfach mit dem Packungsinhalt eine Stunde Pause vom Alltag machen können. Sie plant drei Schachteln mit unterschiedlichen Möglichkeiten. Auszeit durch Handmassage sei auf alle Fälle ein Inhalt. Die weiteren zwei Packungen seien noch offen und hier sehe sie mich. Ich war stolz, eine attraktive Geschäftspartnerin zu sein. In einem Team arbeiten, darauf habe ich lange gewartet (Psychologinnen sind meist einzeln in Unternehmen angestellt – so ich auch seit Jahren in der LebensWerkstatt). Aus meiner Sicht ist ein Produkt dieser Art eine tolle Ergänzung zu meiner Idee, als Trainerin für gewaltfreie Kommunikation aktiv zu werden. Ich sagte also zu, mich einzubringen.

Es zwickt und zwackt

Wir entwickeln die ersten beiden Inhalte. Es ist für mich anstrengend. Ich hatte mir vorgestellt, dass ich nur diese oder jene Idee aufhübsche und dann passt es schon. So ist es nicht. Es ist viel mehr Aufwand als ich erwartet habe. Einige Dinge muss ich ganz neu denken. Dazu kommen viele Absprachen. Ich stelle fest, ich habe ganz viele Fähigkeiten noch nicht. Es müssen Dinge recherchiert und bestellt werden.
Der Gedanke steigt auf, dass ich mich nicht in die Richtung entwickle, die ich geplant habe. Trotzdem mache ich weiter. Wir belegen Gründerseminare bei der IHK online. Anleitungen werden von mir erstellt. Meine Gedanken in Richtung, das ist nicht mein Weg in die Selbstständigkeit, verdichten sich. Der Leidensdruck ist noch nicht hoch genug. Dabei ist mir klar, dass ich mich unfair verhalte. Sonst ist es für mich einfach, reinen Tisch zu machen. Hier steht für mich viel auf dem Spiel. Ich zögere.

Die ersten Missverständnisse schleichen sich ein. So beauftragen wir eine Künstlerin, die Banderole zu gestalten. Im anschließenden Gespräch über das Ergebnis wird klar, dass es weder Jasmins noch mein wirklicher Wunsch war, die Gestaltung aus der Hand zu geben. Die Anzahl der Missverständnisse steigt aus meiner Sicht. Sicherlich spielt die Tatsache mit hinein, dass ich aus einer inneren Distanzierung heraus weniger klar meine Meinung äußere.
Dann schreibt Jasmin, nun können wir das Gewerbe anmelden und die GbR gründen. Oh – Panik macht sich breit. Jetzt stelle ich mich meinen Bedenken. Ich will herausfinden, was ich wirklich will.

Methode: Das Bedürfnis hinter der Strategie finden

In der Theorie ist es wie folgt: Jedes Verhalten ist der Versuch, sich ein Bedürfnis zu erfüllen. Meist ist es so, dass ein Verhalten mehrere Bedürfnisse erfüllt. Das ist praktisch. Da nicht alle wichtigen Bedürfnisse gleichzeitig erfüllt werden können, sind Menschen bereit Kompromisse zu machen. Sie priorisieren Bedürfnisse und nehmen Nachteile hin, wenn nur der Vorteil groß genug ist. Ich nehme Papier und Stift zur Hand. Es ist wichtig, zu schreiben. Ich schreibe zuerst alle Worte auf, die mir in den Sinn kommen. Dann wäge ich ab, trifft das Wort. Wörter sind sehr unterschiedlich und leiten meine Gedanken in verschiedene Richtungen.

Mit Bedürfnissen ist es ein bisschen so wie mit Rüben. Ich sehe das Grün. Das sind Handlungen und Strategien. Die Bedürfnisse sind wie die Rübe gut verborgen. Sie werden erst sichtbar, wenn wir verstehen, dass unten am Grün die Rübe dranhängt.

Schau unter die Oberfläche. Da findest du die Bedürfnisse.

Was steht hinter meiner Kooperation mit Jasmin? Es stehen die Bedürfnisse „dazu gehören zu wollen“, Harmonie, Gemeinschaft, gegenseitiger Unterstützung, Spaß und Lernen. Und jetzt wäge ich ab, wie diese Bedürfnisse erfüllt sind durch die Strategie Solo-Selbstständig mit einer Onlinedienstleistung im Vergleich zu gemeinsamer Selbstständigkeit mit einem Produkt. Alle Bedürfnisse sind mit der gemeinsamen Selbstständigkeit besser erfüllt. Trotzdem entscheide ich mich dagegen. Ich spüre, ich will nicht lernen, was da zu lernen ist. Ich fühle mich zu Seminaren berufen und direktem Kontakt mit Menschen.

Ich schreibe mir genau auf, was ich sagen werde. Es sind tatsächlich vollständige Sätze. Weshalb ist es wichtig, bei genau den Aussagen zu bleiben, die du in aller Ruhe gefunden hast? Weil sie wohlüberlegt sind. Du hast sie ausgewählt, um dein persönliches Ziel zu erreichen. Im Gespräch wirst du andere Gefühle haben. Denn Gefühle sind aktuell. Es kann sein, dass ein Satz der anderen Person dich verletzt oder herausfordert. Dann ist es gut, ein Skript zu haben. Für dieses Skript hast du verschiedene Szenarien durchgespielt. Du hast vorausgeplant. Halte dich im Wirbelsturm der Aussprache einfach an das Skript. So vermeidest du es, dich zu rechtfertigen oder anzugreifen. Vertraue gelassen darauf, dass dein Skript dich zu deinem Ziel führt.

Butter bei die Fische

„Ah, so siehst du das.“ Jasmin ist ent-täuscht. Zutiefst bedaure ich, dass ich meine Zusage nicht einhalten kann. Ich habe meine Selbst-täuschung beendet und damit meine Täuschung ihr gegenüber aufgehoben.

Das Konzept der Ent-täuschung habe ich von Vera Birkenbihl übernommen. Sie selbst erklärt es fantastisch. Falls du es noch nicht kennst, dann schau kurz rein. (Suchworte in YouTube: Streit beenden, Birkenbihl. Aufgrund der DSGVO fehlt hier der direkte Link).

Das Ende der Zusammenarbeit ist schmerzlich. Und es hat Jasmin überrascht. Ich bedauere, dass ich mich erst zu diesem Zeitpunkt geöffnet habe. Gleichzeitig war mir klar, dass es genau der richtige Zeitpunkt war. Es gibt keinen anderen richtigen Zeitpunkt als den, an dem du aktiv wirst und etwas tust. Jasmin entscheidet sich, dass sie das Projekt weiterführt. Sie baut AufmerkZeit auf. Der Mut, der in dieser Entscheidung steckt, ist genau das, was ich an Jasmin schätze. Stöber gerne in ihrem Shop.

Es folgte ein Jahr, in dem wir sehr vorsichtig miteinander umgegangen sind. Einige Male war es Thema, ob die eine von der anderen denn gerne wissen möchte, wie die Selbstständigkeit läuft. Dieses gemeinsame Ringen, was ist nun Teil der Freundschaft und was bleibt erstmal außen vor, hat uns gutgetan. Seit Frühjahr 2022 sind wir wieder ganz die früheren Freundinnen. Wir schreiben uns, was in der Familie und den Vereinen läuft und beratschlagen, wie es gehen könnte. Wir freuen uns über den Erfolg der anderen. Unsere Strategien sind unterschiedlich. Gemeinsam haben wir die Hartnäckigkeit.

Für den Artikel habe ich Jasmin angeschrieben. Ich brauche ihr Einverständnis. Das ist mir wichtig. Und ihre Rückmeldung beeindruckt mich. Sie kann sehr genau beschreiben, wo ich das Skript verlassen habe. Ich habe einen verletzenden Satz gesagt. Es ist eine Rechtfertigung. Ich konstruiere, weshalb es richtig ist, das Projekt zu verlassen. Und ich unterstelle ihr einen Fehler. Ich habe doch eine Schuldige gesucht. Das bedaure ich zutiefst. Ich wünsche euch allen, die ihr euch trennt, dass ihr dann wie ich auf einen Menschen trefft, der über diese Aussage hinwegsehen kann.


Ich schreibe jede Woche einen Newsletter. Mein Versprechen an dich: Ich nehme dich mit in meinen Führungsalltag. Führung findet nicht nur im beruflichen Kontext statt. Und wertschätzende Kommunikation ist eine Haltung mit Impact. Meine Geschichten direkt in den Postfach.

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